Konfrontation mit dem Bösen. Warum Selbstbezwingung der größte Sieg ist.

Seit Menschheitsbeginn stellt sich der Homo sapiens die Frage, was ist gut und was ist böse?

Ist der Mensch eher gut oder böse oder beides? Ist der Mensch ein lediglich hoch entwickeltes Tier? Können Tiere böse sein? Trägt der Homo sapiens sapiens Verantwortung für seine Handlungen?

Könnte es sein, dass wir erst, wenn wir mit dem menschliche Potenzial für Zerstörung und Verrat und Mord vertraut sind, die Kapazität für Mitgefühl und Liebe kennen?

Wäre es nicht nützlich zu wissen, was der größte Feind der Menschlichkeit ist, damit wir die Stärke und Resilienz entwickeln, es mit diesem Gegner aufnehmen zu können? Ist unser größter Feind uns vielleicht näher, als wir denken oder wahrhaben möchten, so nahe, dass wir erschrecken, wenn wir uns ohne Maske im Spiegel betrachten?

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts als einen blutigen Albtraum zu beschreiben wäre eine verharmlosende Untertreibung, es war ein menschliches Schlachthaus.

Wir denken zu gerne von uns selbst als die “Guten” und moralisch überlegenen anständigen Menschen jedoch waren es an vielen verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten immer wieder die normalsten und zivilisiertesten Menschen, die über Nacht zu blutrünstigen mordenden Kreaturen wurden. Du wirst jetzt bestimmt einwenden, dass dies eine billige Übertreibung meinerseits sei, aber Hannah Arendt kommt zu dem gleichen Schluss: Das Böse ist banal.

Wir denken zu gerne, was Sartre schon sagte: “Die Hölle sind die anderen”, das Böse sehen wir als etwas außerhalb unserer Seele, wir haben die Vorstellung, dass da draußen eine kleine Gruppe machthungriger Psychopathen alle schlechten Taten vollbringt, doch wenn die Mehrheit der Menschen “gut” sind, wie erklären wir die Konzentrationslager der Nazis? Den Holodomor von Stalin, welcher 5 Millionen Menschen in der Ukraine verhungern lies oder die “Killing Fields” der Roten Khmer? Wurden diese Taten von einer kleinen Gruppe Psychopathen ausgeführt oder von ganzen normalen Menschen wie du und ich?

Hannah Arendt stellt in ihrem Buch “Eichmann in Jerusalem”(1)eine interessante Hypothese auf, sie analysierte die Psyche des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann und kam zu dem Schluss, dass die radikale Verleugnung von Verantwortung und der blinde Gehorsam gegenüber Autoritäten das Wesensmerkmal von Eichmann war.

Adolf Eichmann war nicht der klischeehafte Nazi, der seinen Körper mit altdeutscher Runenschrift tätowierte, aus wilder Begeisterung die Hakenkreuzfahne schwenkte und alle anderen im “Heil Hitler” brüllen übertönte. Mit Sicherheit gab es auch diese Charaktere, aber das Paradoxe an Eichmann war, dass er ein Bürokrat, ein ganz normaler, relativ schüchterner Mann war, der alle Befehle ausführte, ohne zu hinterfragen.

Erschreckenderweise sind diese Eigenschaften recht weit verbreitet und fast jeder normale Mensch könnte unter bestimmten Umständen dazu gebracht werden, gegen sein eigenes Gewissen zu handeln. (Siehe auch: “Das Milgram Experiment” oder “Das Stanford Prison Experiment”)

Was lässt uns glauben, dass Jean-Jacques Rousseau recht hatte, als er die Behauptung aufstellte, der Mensch sei von Natur aus gut? Welche arrogante und überhebliche Hypothese, wollte er vielleicht damit sagen, dass er selbst von Natur aus gut sei?

Hurra! Hurra! Der Mensch ist bereits gut und wundervoll, also lasst uns so bleiben, wie wir sind und niemals danach streben, unsere Güte weiter zu entwickeln. Das kleine Pflänzchen erzählt sich selbst, es sei bereits ein ausgewachsener Baum und imponiert sich selbst mit breit geschwellter Brust vor den Grashalmen. Doch wahrlich gut ist doch erst der ausgewachsene Baum, welcher Stürmen und Erdbeben standhält und seine Äste immer weiter zur Sonne ausstreckt.

Etwas Bescheidenheit hätte Rousseau nicht geschadet, denn wir sind nicht ausschließlich die guten und anständigen Menschen, als die wir uns zu gerne nach außen hin präsentieren, sondern wir sind auch unsere menschlichen, allzu menschlichen Instinkte. Aus dieser Erkenntnis vielleicht sogar nur aus der Erkenntnis für den eigenen Schatten, die eigenen Unzulänglichkeiten kann die Ambition zur Transformation wachsen.

Der Philosoph Walter Kaufmann prägte den sehr passenden Begriff: “Humbition”(2), eine Mischung aus Humility(Bescheidenheit) und Ambition. Etwas mehr Humbition, wir brauchen Humbition, denn vielleicht gäbe es dann weniger Rechthaberei und weniger selbst ernannte “Heilsbringer”, die sich als Ankläger, Richter und Henker gleichzeitig erheben.

Was wäre, wenn es nur den “Homo Genocidales” geben würde, welchen Sinn hätte das Leben dann?

Könnten wir in solch einem Zustand des Ekels und der Abneigung gegen alles Menschliche nicht zu einfach von Mephistos düsteren Worten verführt werden?

Ich bin der Geist, der verneint

und das zu Recht, für alles, was sich daraus ergibt

verdient es, elendig zugrunde zu gehen.

Es wäre besser, nichts würde beginnen!“

(Johann Wolfgang von Goethe, Faust eine Tragödie, 1808).

Nein, der Mensch ist weder nur gut noch einzig und alleine böse, sondern beides, wie der Psychologe Viktor Frankl schon sagte:

„Unsere Generation ist realistisch, denn wir haben den Menschen kennengelernt, wie er wirklich ist. Schließlich ist der Mensch das Wesen, das die Gaskammern von Auschwitz erfunden hat; er ist aber auch das Wesen, das diese Gaskammern aufrecht betreten hat, mit dem Yisrael auf den Lippen.“(3).

Der Mensch steht auf einer Brücke, welche über einem Abgrund gespannt ist, mit der freien Wahl zurück zu seiner animalischen Natur zu gehen, sich unter die Tiere zu mischen oder voranzuschreiten und in den Olymp der Götter aufzusteigen.

Die Gefahr liegt darin, in der Mitte der Brücke stehen zu bleiben, denn: “Wenn du zulange in einen Abgrund schaust, dann blickt der Abgrund auch in dich hinein” (Friedrich Nietzsche)(4).

Das ist faszinierend, der Mensch ist das Wesen, welches mit einem Gebet auf den Lippen und mit aufrechtem Gang das grausamste Übel ertragen kann und das vielleicht wichtigste der Mensch ist ein Monster, aber das einzige Biest, welches diesem Monster die Stirn bieten kann, ist ironischerweise einzig und alleine der Mensch.

Somit ist der Mensch nicht nur die Kreatur, die Konzentrationslager baut, sondern auch das Wesen, welches der maschinellen Massenvernichtung Einhalt gebieten kann und leiden und töten und massakrieren zu beenden vermag.

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert, in welchem Gott starb, wie Nietzsche schon sagte “Gott ist tot”, aber das war keinesfalls eine optimistische Aussage, denn mit dem Tod Gottes würde nicht ein goldenes Zeitalter entstehen, das von rationaler Wissenschaftlichkeit geprägt sein würde, sondern von Nihilismus, dem Glauben, dass es keinen Sinn gibt, und es waren letztendlich Ingenieure und Wissenschaftler, welche die Artillerie und Gewehre und Bomben erfanden und auch nicht davor zurückschreckten, die Atombombe zu bauen.

Was würde Gott darüber denken? Würde er sich in seinem Grab umdrehen? Wir waren zu naiv, wir sind von dem Extrem des blinden Glaubens direkt in das andere Extrem, dem Glauben an “Nichts” geschlafwandelt.

„…der vielleicht mitfühlendste und ehrwürdigste aller Sterblichen, der Buddha…(hatte gesagt, dass) alle Alibis des Menschen unannehmbar sind, keine Götter für seinen Zustand verantwortlich sind, keine Erbsünde, keine Vererbung und keine Umwelt, keine Rasse, keine Kaste, kein Vater, und keine Mutter, keine falsche Erziehung, keine Gouvernante, kein Lehrer, nicht einmal ein Impuls oder eine Veranlagung, ein komplexes Kindheitstrauma. Der Mensch ist frei, aber seine Freiheit sieht nicht aus wie die glorreiche Freiheit der Aufklärung, sie ist nicht mehr das Geschenk Gottes. wieder einmal steht der Mensch allein im Universum, verantwortlich für seinen Zustand, wahrscheinlich in einem niedrigen Zustand bleibend, aber frei, nach den Sternen zu greifen“
(Walter Kaufmann, Existentialismus von Dostojewski bis Sartre)


Der Homo sapiens sapiens kann nicht mehr zu Gott fluchen für den schrecklichen Zustand seiner Artgenossen, wir können nicht mehr den Teufel höchstpersönlich für alles Übel verantwortlich machen und wir können ihn nicht mehr als Alibi verwenden für unsere eigene Unzulänglichkeit.

Wir können nicht länger den Teufel im anderen sehen und den Engel in uns selbst, wir stehen nicht mehr gegen einen äußeren Feind, sondern gegen das ultimative Hindernis, den zerstörerischsten Gegner, der je existierte: Uns selbst.

Es wäre interessant herauszufinden, was das Limit der Selbstbezwingung ist, was könnten wir sein, wenn wir aufhören würden, uns selbst zu sabotieren?

Nicht wer im Kampf und Schlacht besiegt viel tausend Krieger, Nur wer sich selbst besiegt, der ist der höchste Sieger”(Siddhartha Gotama, Dhammapada)

Der Mensch steht alleine an einer Klippe, mit einem Fuß im Abgrund der Unterwelt und mit dem anderen auf dem festen Granitboden eines Berges, welcher, würde er es wagen, ihn zu erklimmen, ihn näher zu den Sternen bringen würde, näher zu den Göttern.

Wir sind zu Hundertprozent verantwortlich für das, was wir sind, was wir waren und was wir tun werden, und das ist die zentrale Frage: Was ist unsere Antwort auf die kollektive Psychose, auf die allgemeine Schizophrenie und was ist unsere Antwort auf die seltene, aber in hohen Kreisen sehr verbreitete Geisteskrankheit: Die Psychopathie?

Ist es eine Option zu kriechen mit der Hoffnung, vom Lauf des Schicksals verschont zu bleiben? Sollten wir uns in einem Keller einschließen und uns vor dem Übel der Welt verstecken? Oder gar in einem Loch eingraben, auf dass unsere niedere Existenz nie gefunden werde? Oder sollte wir zumindest den Mut haben, uns eine Kugel durch den Kopf zu jagen?

Nein! Lasst uns mit aufrechten Schultern und erhobenem Kopf die Herausforderungen dieser Welt annehmen, auf dass wir niemand die Macht geben, uns unsere Hoffnung zu rauben. Nein, nicht Hoffnung, Hoffnung ist ein Bettler, sondern unseren festen Glauben, dass das schrecklichste Leiden eine Möglichkeit ist, grenzenloses Mitgefühl zu entwickeln und das der niederste Hass nur deswegen existiert, damit wir das Gegenteil beweisen, dass Liebe, nicht Hass, die stärkste Kraft ist.

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Quellen:

1: Hannah Arendt: “Eichmann in Jerusalem”(1963),

2: Walter Kaufmann: “The Faith of a Heretic”(1963),

3: Viktor Frankl: “Man’s search for Meaning” (1946)

4. Friedrich Nietzsche: “Jenseits von Gut und Böse” (1886)

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